ÜBER DIE ALPEN NACH HAUSE
Unsere Guides machen mitunter ziemlich schräge Sachen. Danny, zum Beispiel, pfeift für eine Saison aufs Raften und begibt sich vier Monate lang als Senn auf eine Alm in den Berner Alpen. Harte Arbeit in fantastischer Umgebung. Von 6 Uhr früh bis in den Abend hinein. Sieben Tage die Woche. Bei Sonnenschein und Regen, Hitze, Wind und Kälte. Leben auf das Notwendigste reduziert. Ein prägender Sommer, den er wohl nie vergessen wird.
Auch mich drängt es hinaus. Nicht zum Melken und Käsemachen. Nicht in einen starr geregelten Tagesablauf hinein, sondern aus ihm heraus. Ich besuche Danny und seine beiden Freunde auf der Sousalm, nordöstlich von Eiger, Mönch und Jungfrau, bleibe ein paar Tage, hacke Holz, putze Käselaibe, schleppe Kübel frisch gemolkener Milch. Ich wundere und freue mich darüber, mit welcher Selbstverständlichkeit Danny Kühe melkt, Käse zieht, Butter macht.
Nach vier Tagen verlasse ich die drei Almmenschen. Wir umarmen uns. Ich gehe einfach los. Wohin? Nach Hause. Immer über die Berge. Die ausgedachte Route ist ca. tausend Kilometer lang. Höhenmeter will ich gar nicht zusammenrechnen, damit meine Knie nichts davon erfahren.
Ich dreh mich noch einmal um. Danny winkt. „See you at home!“, ruf ich noch zurück, dann geht´s ins Alleinsein. Zwei Monate lang. Die Berge, mein Rucksack und ich. Nur die Vorstellung davon löst Glücksgefühle in mir aus, und ab und zu auch ein wenig Angst, oder besser Respekt. Die Kombination kenne ich gut und irgendwie bin ich süchtig danach. Komfortzone verlassen, und als Belohnung dafür gibt´s eine Portion Freiheit. Ich bin mir im Klaren, dass das ein möglicher Weg von vielen ist. Aber für mich passt er, seit ein paar Jahrzehnten schon. Vielleicht kann ich es in einem Satz sagen:
Mein Weg ist es, immer neue Wege zu finden.
Die Erde bietet unzählige Möglichkeiten dafür. Vielleicht stellt sich irgendwann heraus, dass ich einer Illusion hinterherjage. Dass es nur einen einzigen Weg gibt, oder gar keinen. Oder dass der Weg vollkommen bowidl ist. Vielleicht geht es um ganz was anderes im Leben. Aber solange mir niemand einleuchtend erklären kann, worum es wirklich – ich meine so richtig wirklich – geht, suche und gehe ich meine Wege. Und mit jedem Schritt lerne ich ein bisschen mehr zu leben und zu lieben. Im Laufe der Zeit hat sich eine große innere Dankbarkeit eingestellt. Dankbarkeit darüber, dass ich das tun darf und kann.
So, wo war ich? Ach ja: Abschied von Danny. Vorbei an den Gletschern von Jungfrau und Mönch und an der gewaltigen Eiger Nordwand. Das wär auch mal so ein Projekt. Dafür müsst ich aber endlich mal mehr Klettern trainieren und daheim Klimmzüge machen. Damit wird´s wahrscheinlich nichts mehr in diesem Leben. Ist ja auch vollkommen egal.
Der Weg durch die Schweiz ist anstrengend. Es geht oft bis ins Tal runter und dann wieder auf fast dreitausend Meter rauf. Ich schlaf die meiste Zeit im Freien. Erstens weil´s mir sowieso taugt, zweitens , weil das Wetter fast durchgehend schön ist und drittens, weil die Schweiz verdammt teuer ist. Dementsprechend schwer ist der Rucksack. Muss halt alles mit dabei sein. Schön langsam kriegen meine Füße mit, was ich da mit ihnen vorhab. Ab und zu drückt´s und sticht´s aber sie lassen mich nicht im Stich, auch wenn der Schuh drückt ;-)
Weiter über die Wendenstöcke, über´s Uri-Rotstockmassiv, runter zum Gotthard und über die Berge immer ostwärts bis Elm. Die Begegnungen mit den Eidgenossen sind sowohl im Positiven als auch im Negativen sehr überraschend. Ich treffe auf sehr offene, freundliche, zuvorkommende Menschen und auf sture Egozentriker. Genau wie es in jedem anderen Land der Welt auch der Fall wäre.
Wieder rauf zum Foopass und über den Fanastock nach Sargans. Nach nicht einmal zwei Wochen bin ich in Liechtenstein. Rasttag in der sehr gemütlichen Jugendherberge.
In Vorarlberg merk ich dann: Irgendwas ist anders. Da gibt es zum Beispiel einen jungen Schilehrer, dem ich zufällig beim Bestaunen der Mondfinsternis begegne. Er lädt mich ein, bei ihm zuhause zu nächtigen. Ohne etwas bezahlen zu müssen. So etwas ist mir in der Schweiz nicht untergekommen. Im Gegenteil. Als ich in den Glarner Alpen auf einer Alm fragte, ob ich mich mit dem Schlafsack wo hinhauen kann, weil´s für die Nacht regnerisch gemeldet haben, wurde ich schlichtweg verjagt. „Wie sind hier keine Herberge!“, wurde ich angeschrien. Es war 21 Uhr. Weit und breit nichts außer Gegend. Ich fand weiter oben einen geschützten Überhang. Die Nacht im Freien war ok. Der Regen blieb aus. Der Sonnenaufgang war irre.
In Vorarlberg schickte ich einige Kilogramm an Gepäck nach Hause. Reduktion aufs Minimale. Der geschundene Körper hat´s mir gedankt und mich leichteren Schrittes weitergetragen.
Lechquellengebirge, Lechtaler Alpen, Mimingerberge, Karwendel, Brandenberger Gebirge, Kaisergebirge, Rofan, Loferer Steinberge, Steinernes Meer, Tennengebirge.
Der Sommer war fast bis zum Schluss unfassbar. Regenausrüstung hab ich über die ganzen Wochen über nur drei Mal gebraucht. Am Schluss gab´s dann einen Schlechtwettereinbruch mit Schnee in den Berge. Also hab ich das Tote Gebirge umgangen. Über die Gasselhütte ins Almtal und von dort ins Steyrtal.
Mit dem jungen Geoventure-Guide Oliver treff ich mich im Mollner Camp an der Steyr. Die letzten dreißig Kilometer fahren wir gemeinsam mit dem Kanu. Es ist ein heißer Spätsommertag und schließlich muss für die Oberarme auch mal was getan werden. Ein cooler Abschluss einer intensiven Tour.
Zusammenfassend: Es gab Momente großen Glücksgefühls und solche des Fast-Aufgebens. Meditatives Zeitvergessen, neue musikalische Ideen, innerliche Bereinigung mancher Ungereimtheiten, wunderbare Naturerlebnisse, die neuerliche Erkenntnis, wie unglaublich schön es in unseren Bergen ist und wie groß die kleinen Alpen in Wirklichkeit sind. Aber auch das starke Gefühle des Zweifels. Scheiß drauf. Wozu das Ganze? Was soll das alles für einen Sinn haben?
Alles war dabei in diesen zwei Monaten. Ich möchte nichts davon missen.